Darwinisch denken
Horizonte der Evolutionsbiologie
Volker Sommer
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Geisteswissenschaften, Kunst, Musik / Geschichte
Beschreibung
Ausgehend von seiner eigenen Forschung an wilden Affen berichtet Volker Sommer über Themen, die auch uns Menschen betreffen – über Traditionspflege, Artgenossentötung und Kinderaufzucht ebenso wie über Eigennutz, Partnertreue, die Frage nach dem Sinn von Leiden und das unglückliche Konzept der »Rassen«.
In gewohnt provokantem Stil präsentiert er sich dabei als radikaler Evolutionist, der sich selbst und seine Mitmenschen als »Affenmenschen« begreift. Das freilich ist für Sommer ein Kompliment. Und eröffnet uns zugleich die Chance, andere Lebewesen mehr schätzen zu lernen – nämlich als natürliche Verwandte.
Rezensionen
, empfiehlt der Autor.</p>
<b>Feiert die Vielfalt!</b> <p>Sind Hasen klüger als Kängurus, weil’s sie den Füchsen besser entkommen? Der Zoologe Volker Sommer denkt in seinem neuen Buch „darwinisch“.</p> <p>Universalsäure nannte der amerikanische Philosoph Daniel Dennett die Darwinsche Evolutionstheorie, ein universelles Lösungsmittel, das sich bis ins Innerste aller erkennbaren Dinge frisst. Der Londoner Anthropologe Volker Sommer denkt in seinem neuen Sammelband „darwinisch“ und gießt die Universalsäure über unsere allzu gewohnte und unreflektierte Begrifflichkeit aus.</p> <p>Kultur oder Natur, Mensch oder Tier, gut oder böse, klug oder dumm: Mit unseren Begriffen ziehen wir Grenzen in die Welt, die wir brauchen, um uns zu orientieren, doch wer genauer hinsieht, wird irritiert feststellen, wie schnell viele von ihnen verschwimmen. „Die Entstehung der Arten“ nannte Charles Darwin bekanntlich sein Hauptwerk, gab aber zu bedenken, dass es so etwas wie Arten gar nicht geben könne, denn der kontinuierliche Wandel der Lebewesen ist gerade der Witz der Evolution.</p> <p>Als bekennender Kulturzoologe berichtet Sommer von den verschiedenen Verhaltensweisen unter nichtmenschlichen Primaten, die kaum anderes denn als Kultur erklärt werden können. Ein zentrales Problem der Verhaltensforschung ist, dass sich kognitive Unterschide zwischen verschiedenen Arten kaum messen lassen, konstatiert Sommer. Sind Hasen klüger als Kängurus, weil sie den Füchsen besser entkommen? Immerhin hatten die Hasen mehr Zeit, sich auf die Präsenz von Füchsen einzustellen. Niemand hat bislang eine Tierpsychologie entwickelt, bei der das Menschengehirn nicht als Referenzgröße dient. So an den menschlichen Fähigkeiten orientiert, stellt der Forscher erstaunt fest, dass Schimpansen, anders als etwa Hunde, die Zeigegeste nicht verstehen. Der Versuchsleiter kann so oft auf die Dose mit dem Futter zeigen, die Schimpansen wählen sie nicht häufiger als andere Dosen in der Reihe.</p> <p>Wenn Tiere schon über Kultur verfügen und ein höchst uneinheitliches Intelligenzprofil zeigen, ist es an der Zeit, weitere Grenzen einzureißen: Schimpansen führen Kriege, töten Kinder, greifen mit Überfallkommandos das Territorium der Nachbarn an, verspeisen ihre Gegner, und Stiefkinder haben bei ihnen ein ebenso schweres Leben, wie es Soziobiologen statistisch auch bei Menschen finden. "Wenn sie Feuerwaffen gehabt hätten und jemand hätte ihnen beigebracht, damit umzugehen - ich vermute, sie hätten sie zum Töten benutzt", zitiert Sommer eine desillusionierte Jane Goodall, die miterleben musste, wie ihre Schützlinge systematisch die Nachbarpopulation ausrotteten. Menschen und Schimpansen sind sich auch in Sachen Gewalt ähnlicher, als uns das lieb sein mag. Der letzte Kannibalenstamm, bemerkt Sommer süffisant, wurde erst vor etwa hundert Jahren vom Christentum zum symbolischen Kannibalismus bekehrt: "Vielleicht war es hilfreich, dass die Einsetzungsworte der Eucharistie im Matthäusevangelium äonenaltem Primatenerbe Rechung tragen: ,Nehmt und esset, das ist mein Leib, das ist mein Blut'".</p> <p> Die Natur hat eine unglaubliche Vielfalt von Handlungsoptionen verwirklicht, radikale Brüche zwischen Mensch und Tier lassen sich dabei nicht ausmachen, weder im Guten noch im Bösen. Sommers Thesen sind nicht unbedingt neu, doch seine Beschreibungen bestechen durch Präzision und Sprachwitz. Es ist schnell behauptet, Gibbons lebten monogam. Dummerweise hatten die Forscher einfach nicht genug Geduld, denn auch wenn in einer Gruppe sieben Jahre lang alle Paare zusammenbleiben, ist dies nur ein Ausschnitt eines dreißigjährigen Gibbonlebens. Bei den Languren gibt es "Babysitter", die scharf darauf sind, der Mutter das Jungtier zu entreißen, und nicht gerade vorsichtig damit umgehen. Doch alle Thesen, die unterstellen, dass es sich bei dieser Art von Betreuung um einen Versuch handelt, durch mangelnde Umsicht Konkurrenz auszuschalten, laufen ins Leere, hat Sommer festgestellt. Die Äffchen sind hart im Nehmen, und die Mütter brauchen Pausen, um zu essen und Sozialkontakte zu pflegen.</p> <p>Sommer untersucht, wie Affen es schaffen, das Geschlecht ihres Nachwuchses zu beeinflussen - "genervte, hungrige Schwangere bekommen eher Töchter" -, er diskutiert den Zusammenhang von westlichem Individualismus und Naturschutz - in Indien sind zwar viele Tiere heilig, ihr Lebensraum aber nicht - und handelt pointiert vom mangelnden "Problembewusstsein der geköpften Blume", dem "Tod der Tauglichsten", der "suizidalen Reproduktion" oder der "Trickkiste der Theologeleien". Den Darwinismus erklärt er zu seiner Religion, denn religiöse Indifferenz, so der Autor, können Menschen schlecht hinnehmen.</p> <p>Und er wehrt sich gegen ein Berufsverbot für Biotechnologen: Die fundamentalistisch-ökologische Forderung nach einem Berufsverbot für Biotechnologen speise sich aus demselben Missverständnis wie die faschistische Idee von rassischer Reinheit. Eine Ordnung, die vorgibt, was es geben darf und was nicht, gibt es nicht, auch die Natur sei immer nach dem Prinzip verfahren, "was geht, das geht". Das Ergebnis davon sind "Tomoffel" (Tomate plus Kartoffel), "cattalo" und "beefalo" (aus buffalo und cattle). Der "cattalo" sieht aus wie ein Rind und unterliegt den Gesetzen der Fleischbeschau, der "beefalo" hingegen wie ein Bison und fällt unter Wildbret: Genomkonfusion im Schlachthof.</p> <p>Der darwinische Blick auf die Natur ist der des steten Wandels, durch die Dekonstruktion der gewohnten Begriffe macht er sprachlos, denn wirklich sind genaugenommen nur die Einzelfälle. Immerhin, ein Trost bleibt: Die Sinnfrage ist für den Darwinisten klar gestellt und einfach beantwortet: Sinnvoll ist, was der Weitergabe des Erbguts dient. "Feiert die Vielfalt"
<b>Feiert die Vielfalt!</b> <p>Sind Hasen klüger als Kängurus, weil’s sie den Füchsen besser entkommen? Der Zoologe Volker Sommer denkt in seinem neuen Buch „darwinisch“.</p> <p>Universalsäure nannte der amerikanische Philosoph Daniel Dennett die Darwinsche Evolutionstheorie, ein universelles Lösungsmittel, das sich bis ins Innerste aller erkennbaren Dinge frisst. Der Londoner Anthropologe Volker Sommer denkt in seinem neuen Sammelband „darwinisch“ und gießt die Universalsäure über unsere allzu gewohnte und unreflektierte Begrifflichkeit aus.</p> <p>Kultur oder Natur, Mensch oder Tier, gut oder böse, klug oder dumm: Mit unseren Begriffen ziehen wir Grenzen in die Welt, die wir brauchen, um uns zu orientieren, doch wer genauer hinsieht, wird irritiert feststellen, wie schnell viele von ihnen verschwimmen. „Die Entstehung der Arten“ nannte Charles Darwin bekanntlich sein Hauptwerk, gab aber zu bedenken, dass es so etwas wie Arten gar nicht geben könne, denn der kontinuierliche Wandel der Lebewesen ist gerade der Witz der Evolution.</p> <p>Als bekennender Kulturzoologe berichtet Sommer von den verschiedenen Verhaltensweisen unter nichtmenschlichen Primaten, die kaum anderes denn als Kultur erklärt werden können. Ein zentrales Problem der Verhaltensforschung ist, dass sich kognitive Unterschide zwischen verschiedenen Arten kaum messen lassen, konstatiert Sommer. Sind Hasen klüger als Kängurus, weil sie den Füchsen besser entkommen? Immerhin hatten die Hasen mehr Zeit, sich auf die Präsenz von Füchsen einzustellen. Niemand hat bislang eine Tierpsychologie entwickelt, bei der das Menschengehirn nicht als Referenzgröße dient. So an den menschlichen Fähigkeiten orientiert, stellt der Forscher erstaunt fest, dass Schimpansen, anders als etwa Hunde, die Zeigegeste nicht verstehen. Der Versuchsleiter kann so oft auf die Dose mit dem Futter zeigen, die Schimpansen wählen sie nicht häufiger als andere Dosen in der Reihe.</p> <p>Wenn Tiere schon über Kultur verfügen und ein höchst uneinheitliches Intelligenzprofil zeigen, ist es an der Zeit, weitere Grenzen einzureißen: Schimpansen führen Kriege, töten Kinder, greifen mit Überfallkommandos das Territorium der Nachbarn an, verspeisen ihre Gegner, und Stiefkinder haben bei ihnen ein ebenso schweres Leben, wie es Soziobiologen statistisch auch bei Menschen finden. "Wenn sie Feuerwaffen gehabt hätten und jemand hätte ihnen beigebracht, damit umzugehen - ich vermute, sie hätten sie zum Töten benutzt", zitiert Sommer eine desillusionierte Jane Goodall, die miterleben musste, wie ihre Schützlinge systematisch die Nachbarpopulation ausrotteten. Menschen und Schimpansen sind sich auch in Sachen Gewalt ähnlicher, als uns das lieb sein mag. Der letzte Kannibalenstamm, bemerkt Sommer süffisant, wurde erst vor etwa hundert Jahren vom Christentum zum symbolischen Kannibalismus bekehrt: "Vielleicht war es hilfreich, dass die Einsetzungsworte der Eucharistie im Matthäusevangelium äonenaltem Primatenerbe Rechung tragen: ,Nehmt und esset, das ist mein Leib, das ist mein Blut'".</p> <p> Die Natur hat eine unglaubliche Vielfalt von Handlungsoptionen verwirklicht, radikale Brüche zwischen Mensch und Tier lassen sich dabei nicht ausmachen, weder im Guten noch im Bösen. Sommers Thesen sind nicht unbedingt neu, doch seine Beschreibungen bestechen durch Präzision und Sprachwitz. Es ist schnell behauptet, Gibbons lebten monogam. Dummerweise hatten die Forscher einfach nicht genug Geduld, denn auch wenn in einer Gruppe sieben Jahre lang alle Paare zusammenbleiben, ist dies nur ein Ausschnitt eines dreißigjährigen Gibbonlebens. Bei den Languren gibt es "Babysitter", die scharf darauf sind, der Mutter das Jungtier zu entreißen, und nicht gerade vorsichtig damit umgehen. Doch alle Thesen, die unterstellen, dass es sich bei dieser Art von Betreuung um einen Versuch handelt, durch mangelnde Umsicht Konkurrenz auszuschalten, laufen ins Leere, hat Sommer festgestellt. Die Äffchen sind hart im Nehmen, und die Mütter brauchen Pausen, um zu essen und Sozialkontakte zu pflegen.</p> <p>Sommer untersucht, wie Affen es schaffen, das Geschlecht ihres Nachwuchses zu beeinflussen - "genervte, hungrige Schwangere bekommen eher Töchter" -, er diskutiert den Zusammenhang von westlichem Individualismus und Naturschutz - in Indien sind zwar viele Tiere heilig, ihr Lebensraum aber nicht - und handelt pointiert vom mangelnden "Problembewusstsein der geköpften Blume", dem "Tod der Tauglichsten", der "suizidalen Reproduktion" oder der "Trickkiste der Theologeleien". Den Darwinismus erklärt er zu seiner Religion, denn religiöse Indifferenz, so der Autor, können Menschen schlecht hinnehmen.</p> <p>Und er wehrt sich gegen ein Berufsverbot für Biotechnologen: Die fundamentalistisch-ökologische Forderung nach einem Berufsverbot für Biotechnologen speise sich aus demselben Missverständnis wie die faschistische Idee von rassischer Reinheit. Eine Ordnung, die vorgibt, was es geben darf und was nicht, gibt es nicht, auch die Natur sei immer nach dem Prinzip verfahren, "was geht, das geht". Das Ergebnis davon sind "Tomoffel" (Tomate plus Kartoffel), "cattalo" und "beefalo" (aus buffalo und cattle). Der "cattalo" sieht aus wie ein Rind und unterliegt den Gesetzen der Fleischbeschau, der "beefalo" hingegen wie ein Bison und fällt unter Wildbret: Genomkonfusion im Schlachthof.</p> <p>Der darwinische Blick auf die Natur ist der des steten Wandels, durch die Dekonstruktion der gewohnten Begriffe macht er sprachlos, denn wirklich sind genaugenommen nur die Einzelfälle. Immerhin, ein Trost bleibt: Die Sinnfrage ist für den Darwinisten klar gestellt und einfach beantwortet: Sinnvoll ist, was der Weitergabe des Erbguts dient. "Feiert die Vielfalt"
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Evolutionsbiologie, Darwinisch denken, Sachbuch